9 Tage, 17 Teilnehmer, 8 Segelflugzeuge, 10 cm Niederschlag. So kann man die Streckenflugwoche, welche vom 22. – 30. Mai in Zellhausen stattfand, kurz zusammenfassen.
Ein neues Veranstaltungsformat
Sportfachgruppenleiter Segelflug Sebastian hatte die Veranstaltung angeregt und organisiert, um das Streckenfliegen mit dem Segelflugzeug zu fördern. Dabei ging es nicht nur darum, den erfahrenen Piloten in der vergleichsweise kurzen Saison zusätzliche Möglichkeiten für lange Flüge zu bieten, sondern gerade den weniger erfahrenen und Einsteigern Lernfortschritte zu ermöglichen.
Am besten funktioniert dies, wenn „Cracks“ und Neulinge gemeinsam im Doppelsitzer unterwegs sind oder man sich mit mehreren Flugzeugen zusammen “auf Strecke” begibt. So steigen die Chancen „rum zu kommen“ für alle deutlich.
Die besten Chancen für Streckenflüge ergeben sich normalerweise im jährlichen sommerlichen Fliegerlager. Da die Fliegerei in Zellhausen aufgrund des nahen Rhein-Main-Flughafens Höhenbeschränkungen unterliegt, ist hier insbesondere der Abflug besonders anspruchsvoll. Das Fliegen „zu Hause“ hat deshalb einen besonderen Trainingseffekt.
Streckenflug? Wie geht das?
Ein Streckenflug ohne Motor? Das klingt wie eine Fahrradtour ohne Kette. Wie legt ein Segelflugzeug ohne Antrieb größere Distanzen zurück? Zunächst einmal setzt es eine einmal gewonnene Höhe sehr effizient in Strecke um. Genau wie ein Fahrrad, das ein Gefälle herunterrollt, erhält es dabei die Geschwindigkeit, die es zum Fliegen braucht. Moderne Segelflugzeuge sind so widerstandsarm, dass sie aus einem km Höhe 40 – 50 km weit segeln können. Das reicht, um damit sehr erfolgreich durch die Luft zu reisen.
Das immer wieder nötige Steigen besorgt die Thermik.* Das „Lesen“ der Wolken und die effiziente Nutzung der Aufwinde braucht einiges an Übung, so dass Segelflieger meist erst nach Scheinerwerb den Streckenflug richtig erlernen.
Ein durchwachsener Start
Leider hatten die Meteorologen gleich zu Beginn keine guten Nachrichten für die Segelflieger, die wie alle anderen auch nach dem langen Lockdown etwas Abwechslung vertragen konnten. Gleich der erste Flugtag fiel buchstäblich ins Wasser. Der Pfingstsonntag ließ einige Flüge in Platznähe zu, an Streckenflüge war aber immer noch nicht zu denken. Aufgrund von starken Regenschauern wurde der Flugbetrieb nachmittags zeitweise unterbrochen und der ein oder andere Pilot bekam bereits in der Luft eine „Dusche“ ab.
Erst am Pfingstmontag gab es die Chance für erste Ausflüge, welche überwiegend die geübten Piloten nutzen konnten. Anfängertauglich waren die Bedingungen noch nicht.
Gehandicapt wurde das Fliegen auch durch den Umstand, dass die LS4, ein Leistungseinsitzer des Vereins und die optimale Wahl für Streckenfluganfänger, aufgrund eines Schadens am Stoßdämpfer ausfiel. Der Hersteller lieferte schon seit Monaten nicht und so sanken die Chancen immer weiter, das Flugzeug noch flugtauglich zu bekommen.
Dies spielte zwischenzeitlich aber keine Rolle mehr, denn die anschließenden drei Flugtage mussten wetterbedingt abgeblasen werden. Petrus verlangte den verhinderten Piloten Geduld ab und ihre Familien mussten ob ihrer verhaltenen Laune viel Nachsicht aufbringen.
Endlich Sonne
Erst für den Freitag kündigte sich eine Besserung an. Dann ging es tatsächlich wieder in die Luft und auch die LS4 stand wieder zur Verfügung. Ein Flieger hatte Beziehungen zu seinem alten Verein spielen lassen, welcher das Ersatzteil auf Lager hatte. Immerhin 76 km konnte sie in der Luft sein, bevor sich für das abschließende Wochenende endlich bestes Streckenflugwetter entwickelte.
Beste Bedingungen
Sebastian stellte für den Samstag und Sonntag jeweils eine kleine und große Aufgabe, die kleine von ca. 175 km, die große jeweils um die 385 km. Geflogen wurden FAI-Dreiecke, also weitgehend gleichschenklige dreieckige Routen mit Start und Ziel in Zellhausen sowie zwei Wendepunkten. Den weitesten Flug hatte Frank mit 444 km und auch die meisten anderen Piloten konnten ihre Aufgaben abschließen.
Drei Piloten absolvierten nach ihrer Prüfung ihre ersten Streckenflüge von Zellhausen aus. Philipp gelang dabei sogar das Kunststück, mit dem vergleichsweise leistungsschwachen Schulungseinsitzer ASK23 die Aufgabe erfolgreich zu bewältigen und dabei 191 km zurück zu legen. Dabei ging es über den Odenwald, den Spessart und wieder zurück.
Insgesamt erreichten alle Piloten zusammen trotz des durchwachsenen Wetters eine Gesamtdistanz von 7.002 km.
Den Horizont erweitern
Einerseits markieren diese Distanzen Erfolgserlebnisse, die Faszination des Streckenflugs lässt sich aber nur unzureichend in Zahlen ausdrücken. Es ist ein besonderes Erlebnis, nur getragen durch die Kräfte der Natur zu reisen und sich längere Zeit und über größere Entfernungen in einem anderen Element zu befinden. Das „Lesen“ der Wolken, das Erfühlen der Kräfte der Natur, die optimale Nutzung der Energiereserven, das gemeinsame Kreisen in der Thermik, die Freude, wenn Aufwinde einen wie von Geisterhand zügig nach oben bringen, die mögliche Notwendigkeit einer Außenlandung, der Triumph, wenn der eigene Platz wieder in Reichweite ist und die Ankunft zu Hause, das alles hat einen besonderen Reiz, den vielleicht am besten unsere Bilder transportieren.
Trotz Hindernissen hat Sebastian mit der Streckenflugwoche einen zweiten Saisonhöhepunkt ins Leben gerufen, der in den kommenden Jahren gerne eine Fortsetzung finden darf. Das Luftreisen „ohne Antrieb“ hat begeistert.
*Thermik: Um Höhe zu gewinnen, wird unterwegs die „Thermik-Tankstelle“ genutzt. Da sich bei Sonneneinstrahlung trockener Boden, Felsen oder das dunkle Dach eines Gebäudes schneller erhitzen als eine feuchtere Umgebung aus Wald, Wiesen oder Seen, sammelt sich dort über längere Zeit Warmluft. Da diese leichter ist als Kaltluft, reicht nach einer Weile ein Windimpuls, um die Warmluft zum Aufsteigen zu bewegen. Dabei saugt sie umliegende Warmluft mit an und es entsteht ein „Thermikschlauch“, den die Segelflieger „Bart“ nennen. Wolken markieren dabei den oberen nutzbaren Punkt. Die Warmluft ist so weit aufgestiegen und dabei abgekühlt, dass sie das enthaltene Wasser nicht mehr halten kann. Es kondensiert und es entstehen Wolken. Der Segelflieger orientiert sich unterwegs also an Bodenbegebenheiten oder den Wolken nutzt die darunter stehende aufsteigende Luft.