„Wie kommen Segelflugzeuge eigentlich in die Luft?“, ist eine der häufigen Fragen, die Flieger gestellt bekommen. Bei uns in Zellhausen geht das zum einen per Flugzeugschlepp, wesentlich häufiger jeodch mit einer Winde.
Wie sieht so eine Winde aus und wie funktioniert sie? Meist besteht eine Winde aus einem LKW mit einem Aufbau, der einen zweiten starken LKW-Motor trägt, welcher wiederum zwei Seiltrommeln antreibt. Sie befinden sich im Bild gut erkennbar in den Metallgehäusen an der Seite.
Die Trommeln tragen jeweils Kunststoffseile von über 1.200 Metern Länge, die per Fahrzeug – im Fliegerjargon heißt es Kübel – über die gesamte Startbahn ausgezogen und ins Segelflugzeug eingeklinkt werden. Der 14.600 ccm große und 280 PS starke LKW-Diesel zieht die Seile dann mit seinem enormen Drehmoment ein und beschleunigt das Segelflugzeug aus dem Stand in etwa 2-3 Sekunden auf 100 km/h und weiter steil in den Himmel auf eine Ausklinkhöhe von rund 400 Metern. Für Zellhäuser ist das ein bekannter Anblick.
Gelegentlich nutzen Vereine auch Elektrowinden. Alternativ sind Winden mit 6 Trommeln erhältlich, die oft von Flugschulen eingesetzt werden, um eine sehr hohe Anzahl an Starts pro Tag zu ermöglichen.
Unser Mercedes-LKW stammt aus den 80er-Jahren und war einst für die Bundeswehr im Einsatz, was heute nur noch am Olivgrün im Innenraum und der Notausstiegsluke im Dach des Fahrerraums zu erkennen ist. Der Aufbau mit den Schlepptrommeln ist weitgehend Marke Eigenbau.
Da der Segelflug Teamsport ist und neben der Fliegerei auch am Boden einiges organisiert werden muss, hat jeder Segelflieger etwa 4-5 mal im Jahr Windendienst. Das heißt, er verbringt den Flugtag auf der Winde und schleppt über den Tag verteilt rund 30– 35 mal Segelflugzeuge in den hoffentlich strahlenden Himmel.
Kommt der Wind von Süden, müssen die Segelflugzeuge zunächst an das Nordende der Bahn gezogen werden. Von dort aus, geht es dann per Winde am schnellsten in die Luft.
Neben leichtem Wehmut, dass man an solchen Tagen nicht selbst fliegen kann, macht der Windendienst jedoch eine Menge Spaß. Auch die Flugschüler sind schon dabei, denn es wird Wert darauf gelegt, dass jeder spätestens bei Ende der Segelflugausbildung auch den Windenschein hat. Dafür benötigt es 100 Schulungsstarts an 10 Flugtagen. Anschließend nimmt der Windenbeauftragte des Vereins die Prüfung ab.
Wie sieht nun so ein Tag auf der Winde aus? Ein Windenfahrer startet gemeinsam mit den Fliegerkameraden samstags, sonntags oder feiertags um halb 10. Während diese die Segelflugzeuge aufbauen und checken, bringt dieser die Winde in Gang. Da ihr technischer Zustand sicherheitsrelevant ist, startet kein Flugtag ohne einen ausführlichen Check, der über 20 Punkte umfasst.
Nach dem Öffnen der Hallentore geht der erste Blick zunächst unter das Fahrzeug. Gibt es Flecken von Öl oder anderen Flüssigkeiten? Sieht alles gut aus, wird die Winde zunächst vom Stromnetz genommen. Dann wird der 7,5 Tonner zum Leben erweckt.
In dieses Fahrzeug steigt man noch im wahrsten Sinne des Wortes ein. Über zwei Stufen klettert man ins Fahrerhaus auf eine Sitzhöhe von rund 1,80 m. Dort ist dann alles anders, als man es von modernen Autos gewohnt ist. Es riecht nach Diesel und Motoröl. Alles ist groß, schwer, robust und unverwüstlich. Das Lenkrad ist vergleichsweise riesig, denn der Fahrer muss trotz des Fahrzeuggewichtes ohne Servolenkung auskommen. Unser LKW hat wie ein Motorflugzeug einen Hauptschalter, um das Stromnetz einzuschalten. Das Starten des Motors erfolgt für die 80er-Jahre noch unüblich über einen Startknopf. Das Stoppen des Motors hingegen gelingt nicht durch Drehen des Zündschlüssels sondern durch die Betätigung eines weiteren Knopfes auf dem Boden des Fußraumes. Alles ist irgendwie anders als man es sonst kennt.
Die Fahrerkabine bietet Platz für 3, aber mehr als bloßes Sitzen und Fahren ist nicht. Komfort war für die Bundeswehrsoldaten damals nicht vorgesehen. Sogar nach einem Handschuhfach sucht man vergebens. Zum Ausgleich gibt es einen rund 30 cm breiten Aschenbecher. Damals waren die Prioritäten noch anders gesetzt.
Bevor man die Winde in Bewegung setzt, muss der Motor zunächst einige Minuten warmlaufen. Ein Diesel braucht einige Zeit um warm zu werden und es ist auch zwingend notwendig, damit sich die hydraulischen Bremsen öffnen. Währenddessen klettert man quer durchs Fahrzeug, klappt per Hand die mächtigen Rückspiegel aus und fährt anschließend langsam aus der Halle. Am besten lässt man sich dabei von anderen lotsen. Die Sicht nach hinten ist bescheiden.
Die wichtigste Ausrüstung an heißen Tagen: Die Sonnenliege und ein gutes Buch.
Pedale und Schaltwege: alles ist groß und eher schwergängig. Dafür ist das Getriebe LKW-typisch sehr kurz übersetzt. Der erste Fahrtweg führt nur ein paar Meter weit an die Tankstelle. Ein voller Tank ist vor einem langen Flugtag eine gute Sache. Anschließend beginnt der Check des Fahrzeugs, bei dem man auf den hinteren Aufbau klettert und den Windenmotor checkt. Wenn Ölstand, Kühl- und Bremsflüssigkeit stimmen, führt der nächste Weg zum Startplatz.
Je nach Windrichtung sind es nur ein paar Meter oder aber bis ans andere Ende der Startbahn. Bevor der Flugbetrieb starten kann, folgen die Checks aller dafür notwendigen Teile. Die großen Trommeln werden auf Leichtgängigkeit geprüft. Die Kunststoffseile müssen ordentlich und ohne Schlaufen aufgerollt sein. Seile aus Kunststoff? Ja, die sind bei uns schon seit etlichen Jahren im Einsatz. In früheren Jahren waren sie noch aus Stahl. Kunststoff hat jedoch deutliche Vorteile. Sie sind beim Starten unkomplizierter und tatsächlich halten sie deutlich mehr aus, als ihre Vorgänger aus Metall. Traten Seilrisse früher mit einer gewissen Regelmäßigkeit auf, sind sie heute die absolute Ausnahme.
Weiter geht es mit Bremsklötzen, der Erdung des Fahrzeugs und dem Aufstellen des Absperrbandes. Dann wird das Blinklicht hochgefahren und der Check in der Kabine fortgesetzt. Kommunikation und Funk werden eingeschaltet, die Instrumente überprüft und auch der Windenmotor muss einige Minuten warmlaufen.
Meist kommen dann schon die Flugschüler mit dem Kübel und ziehen die Seile für die ersten Starts aus.
Bedient wird die Winde über einen großen Gashebel, der mit der Hand betätigt wird und über den nach erfolgtem Schlepp auch der Motor abgestellt wird. Ansonsten funktioniert das Schleppen auf Basis eines Automatikgetriebes. Gebremst wird mit einem Fußpedal. Für einen Start wird mit etwas Kraft jeweils eine der großen Seiltrommeln eingekuppelt. Nachdem geprüft wurde, ob die Startbahn und der Ausklinkraum, also der Luftraum über dem Flugplatz frei ist, kann das Seil angezogen werden. Ist es straff, wird zügig Gas gegeben und das Flugzeug befindet sich in kürzester Zeit der Luft. Für den Windenfahrer fühlt es sich an wie Drachensteigen lassen, nur mit 280 PS.
Die Perspektive des Windenfahrers bei seinem Dienst.
Je nach Wind und Gewicht des Flugzeugs muss die Schleppleistung angepasst werden. Während der Windenfahrer für den Schulungsdoppelsitzer eine Geschwindigkeitsanzeige hat, fehlt diese für alle anderen Flugzeuge. Deshalb ist es wichtig, Erfahrung und Gefühl zu entwickeln. Kurz bevor das Flugzeug die maximale Höhe erreicht hat, nimmt man die Leistung zurück, das Seil fällt automatisch aus der Schleppkupplung des Segelflugzeugs und gleitet an einem kleinen Fallschirm Richtung Boden. Dann heißt es noch mal einen kurzen Gasschub zu geben, anschließend zieht man das fallende Seil meist im Leerlauf ein bis es kurz vor der Winde zu liegen kommt.
Die Kommunikation mit dem Betriebsleiter, der den Flugbetrieb koordiniert, erfolgt über ein Headset. Dies ist auch nötig, denn der Windenmotor entwickelt einen sonoren Geräuschpegel und es bleibt keine Hand für einen Telefonhörer frei. Für den Start sind genormte Kommandos festgelegt. Windenfahrer und Betriebsleiter bilden im Idealfall ein gutes Team, denn vier Augen sehen mehr als zwei. Zunächst fällt der Pilot die Entscheidung zum Start. Sollten Betriebsleiter oder Windenfahrer aber noch Fußgänger oder Radfahrer nahe der Bahn oder ein Flugzeug in Anflug sehen, kann der Start immer noch verzögert werden.
Wer den Windenstarts in Zellhausen einmal zugeschaut hat, dem wird vielleicht aufgefallen sein, dass die Flieger gelegentlich „schief“ in den Himmel starten. Dies ist immer bei Seitenwind der Fall. Für die Segelflugzeuge selbst ist es ein Nachteil, denn durch das sogenannte Vorhalten reduziert sich auch die Schlepphöhe. Wichtig ist es trotzdem, denn während das Seil am Schirm hinuntergleitet, wird es vom Wind versetzt. Im Idealfall sollte es in der Nähe der Winde landen und den umstehenden Häusern, Bäumen oder Büschen nicht nahe kommen. Im Notfall kann sich ein Windenfahrer aber auch durch ein schnelles Einziehen behelfen.
Und wenn beim Schleppen mal etwas schief geht? Startstörungen wie Seilrisse sind selten geworden, sind aber trotzdem nie auszuschließen. Deshalb wird jeder Segelflugpilot darauf geschult, wie mit eine Startunterbrechung umzugehen ist. Je nach Schlepphöhe landet er einfach geradeaus, fliegt eine Umkehrkurve und landet in Gegenrichtung oder er fliegt eine verkürzte Platzrunde. Unser großes Fluggelände bietet in jedem Fall perfekte Ausweichmöglichkeiten für jede Eventualität.
Bei einer Startunterbrechung landet ein Segelflugzeug auch mal direkt vor der Winde. In der Praxis sind dies aber meistens Übungen.
Wer ein wenig Benzin oder besser noch Diesel im Blut hat, dem wird der Windendienst eine Menge Spaß machen. Zudem hat man meist endlich mal Zeit für ein gutes Buch, denn wenn bei guten Wetter alle Flugzeuge längere Zeit in der Luft sind, hat man durchaus für einige Zeit seine Ruhe. Daher gehört zur Ausrüstung einer Winde nicht nur der Feuerlöscher und ein Fernglas sondern auch eine bequeme Sonnenliege.
Nach erfolgreichem Flugtag werden die Seile noch einmal ausgezogen und nur mit leichten Gewichten versehen wieder aufgerollt. Dies hilft dabei, den ansonsten sehr hohen Druck auf den Trommeln zu verringern.
Zuletzt erfolgt der Abbau wiederum nach Checkliste. Diese sind im Flugsport unabdingbar, um einen sicheren Betrieb und die Schonung des Materials sicher zu stellen, denn man möchte ja, dass die Winde auch am nächsten Tag wieder zur Verfügung steht und nicht durch Nachlässigkeit etwas beschädigt wird oder wegen leerer Batterien nicht planmäßig gestartet werden kann.
Damit ein Teamsport wie das Fliegen funktioniert, kommt es also nicht nur auf die Piloten sondern in großen Maße auf die Mannschaft am Boden an und wenn ein Windenfahrer gute Arbeit geleistet hat, ist ihm der Dank der Piloten am Abend gewiss.